Noch lange nicht Geschichte
Einleitung zum Buch 20 YRS
Das Conne Island ist seit zwanzig Jahren ein sozialer Ort für Politik und
Kultur. Es ist ein Ort für Musik ohne Genrebegrenzung Hardcore-,
Punk- und Metal-Konzerte gehören ebenso dazu wie Hip-Hop, Techno und
Dubstep, aber auch Hamburger Schule und Pop, im engeren wie weiteren Sinne.
Gleichzeitig ist das Island ein politisches Zentrum, in dem um
Gesellschaftskritik, linke Praxis und die Möglichkeiten von politischer
Kultur gerungen wird. Und ebenso gleichzeitig ist es ein sozialer Ort, in dem
mit- und gegeneinander diskutiert wird, an dem abgehangen, Bier, Kaffee und
Wodka Mate getrunken wird und in dem getanzt wird, ganz ohne kulturelle oder
politische Überhöhung. Der Zugang zu diesem Buch ist nicht
akademisch, kulturwissenschaftlich und schon gar nicht sozialarbeiterisch.
Unterschiedliche Ladengenerationen und Leute verschiedener Szenen kommen zu
Wort, seien es FußballerInnen, Punks, Skinheads, HardcorerInnen,
Technobooker und -liebhaberInnen, Skater, Kulturniks wie Politniks,
FeministInnen, SchreiberInnen und SchrauberInnen, MacherInnen oder
MusikerInnen. Manchmal alles in einer Person vereint. Das Buch vermittelt den
Mythos Conne Island und räumt auch mit ihm auf. Einige der grundlegenden
Prinzipien werden erläutert, die Anfänge im DDR-Punk ebenso
beschrieben, wie Prognosen zur Entwicklung des Musikbusiness gewagt. Wir
erzählen, wie es dazu kommt, dass in dem selben Laden die
Skinheadgötter Cock Sparrer, die elektronischen Stars Carl
Craig, Mala und Jeff Mills und Hip-Hop-Größen wie De
La Soul und MF Doom auftreten. Und Beatsteaks, Tocotronic,
Christiane Rösinger, Broilers, Battles und efdemin genauso wie
Thomas Ebermann künstlerische Stammgäste sind. Weil wir noch
lange nicht Geschichte sind und uns dem Conne Island deshalb nicht historisch
zuwenden, beginnen wir mit einer sowohl bildlichen wie textlichen Vorstellung
des heutigen Conne Island das Conne Island als sozialer Ort,
geprägt von denen, die es machen. Die Bilder von EIKO GRIMBERG zeigen das
Gelände heute, geben erste Hinweise, was alles dazugehört: Plenum,
Skaten, Konzerte, Freisitz zum Beispiel. In einer, je nach Blick,
melancholischen, vorfreudigen oder Post-Party-Stimmung ist das Gelände
bereit, genutzt zu werden. FRANKA MARTIN beschreibt, wie es ist, neu
hinzuzukommen, wie der Laden läuft und warum die harte Schule Conne
Island nicht das Schlechteste ist. Denn: Harmonie ist eine Strategie.
Einzigartig sicherlich die Möglichkeit, dazuzugehören und Eigenes
umzusetzen. Das Island bietet eine (beinahe) voraussetzungslose
Möglichkeit, mitzumachen, jederzeit montags um 18 Uhr zum Plenum kommen zu
können, in dem über jede Band, jede Veranstaltung gesprochen wird und
alle anfallenden Aufgaben vergeben werden, Backstageund Cafédienste,
Saal kehren, Klos putzen, Einlass und so weiter. Das Prinzip
Partizipation stellt CHRISTIAN SCHNEIDER in Status Quo Vadis?
vor und grenzt es vom klassischen Ehrenamt ab. Der Umgang mit
Fördergeldern bzw. mit Einrichtungen, die das Island fördern,
gehört sicherlich ebenso wie das Montagsplenum zum Mythos Conne Island.
KATHARINA HAMANN zeigt die Vebindungslinien zwischen der Erstreitung des
eigenen Hauses im Rathaus über Schnipsel im Finanzamt bis hin zur
aktuellen Ablehnung der so genannten Extremismusklausel. In Fördern
Fordern wird für inhaltliche Konsequenz und gleichzeitigen Pragmatismus
plädiert. Den Anfangsjahren, den Ideen und Idealen der ersten
BetreiberInnen und ihren Kämpfen widmet sich der nächste Teil des
Buches. Er wird illustriert von Dokumenten aus der Anfangszeit, Aufrufen und
Flugblättern aus den frühen neunziger Jahren, die einen Eindruck der
anfänglichen Auseinandersetzungen geben, und von Bildern von THOMAS
STEINERT, die einen Blick zurück auf das Klubhaus Erich Zeigner und eine
DDR-Moderne mit Widersprüchen gewähren. Conne Island MacherInnen der
ersten Jahre beantworten drei Fragen, erzählen von ihren schönsten
und weniger schönen Erlebnissen und berichten, was ihnen die Zeit am Laden
bedeutet. SASCHA LANGE beschreibt in Zur Gründung des Conne Island
Punks in der DDR, den Wandel von Opposition zur Wendezeit, wie aus
der Aktion Jetzt die Reaktion und schließlich der
Projekt Verein wurde. Der Text entwirft ein Bild von Connewitz und der
linken Szene von den achtziger bis Mitte der neunziger Jahre. Wichtige Themen
sind unter anderem Hausbesetzungen, Anti-Nazi-Kampf, aber auch Diskussionen um
linke Ausrichtungen beispielsweise mit den westdeutschen
Wohlfahrtsausschüssen. Mit RAY SCHNEIDER kommt ein Protagonist der ersten
Stunde zu Wort. Welche Konflikte hehre Ziele, Stasiverstrickung,
Alltagsgeschäft und individuelle Macht mit sich bringen, beschreibt
Vom hohen Anspruch auf Anspruch. Aus der Innenperspektive werden die
Stationen der Auseinandersetzung mit staatlichen AkteurInnen, interne
Diskussionen um Politik und Kultur, die Geschichte des illigalen Punk im
Mockauer Keller bis zum Aufbau des Conne Island erzählt. Punk und Hardcore
spielen noch heute eine wichtige Rolle im Eiskeller. Eine ganze Crew von Leuten
der ABTEILUNG STROMGITARRE, die grob alles Härtere mit elektrischer
Gitarre beinhaltet, fassen die wichtigsten Entwicklungen von Punk, Hardcore und
Oi! der vergangenen Jahrzehnte zusammen. Die Musiksparte mit der längsten
Tradition am Laden ist zugleich eine konfliktreiche.
Straight-Edge-Diskussionen, Auseinandersetzungen um Sexismus bei Texten und
Gästen und die Vorwürfe an Oi!-Bands, sie wären rechts,
rechtsoffen oder Grauzone, werden in dem Text ebenso behandelt wie
Spaß, Unity und Feiern im Laufe der Jahre. Der Titel Wir hatten oft
Recht und zeigten das auch gern nach außen! passt sicherlich auch zu
anderen Sparten im Island. Hip-Hop gehört fast so lange wie Hardcore zum
Laden. Die ersten Jams mit Breakdance, Graffiti und MCs fanden schon Anfang der
neunziger Jahre statt, bereits in der DDR gab es professionelle
Breakdancecrews, etwas, was sich im Westen niemand vorstellen konnte.
Schnell wurde das Island zur wichtigsten Adresse für Hip-Hop in Leipzig,
mit den Leuten stieg der Hip-Hop-Anteil im Programm. Denn: Es kommen ein
paar Leute zusammen und dann geht es ab. COOKÉ, ein Leipziger
Hip-Hop-Urgestein, erzählt im Interview von den Anfängen,
Fortführungen, Entwicklungen und Einschnitten. Das Gleiche macht der
folgende Text Dancing History für die Abteilung
Dancegeschichte, wie alles, was elektronische Musik ist, im Conne Island
genannt wird. Die beiden aktuellen Booker dieser Sparte schreiben über
Techno, Dubstep und aktuelle Genreverwischungen, PHILIPP NEUMANN berichtet
über die ersten elektronischen Veranstaltungen und BOOGA über die
Hochzeit von Drum`n`Bass am Laden. Bilder, die Stimmungen bei Konzerten und
Clubveranstaltungen im Conne Island wiedergeben, leiten von den Sparten zu
kulturpolitischen Debatten über. Die politische Dimension von Kultur war
und ist im Island eine wichtige Komponente des Selbstverständnisses und
das Conne Island ist gerade wegen seiner politischen Interventionen über
Leipzig hinaus bekannt. SEBASTIAN KIRSCHNER fordert Never Trust a
Subculture und umreißt die wichtigsten Stationen der Kulturpolitik. Dazu
zählt vor allem die andauernde Frage nach Grenzen und Möglichkeiten
von Interventionen durch die und in die Kultur, aber auch die Diskussion um
(neuen) Nationalismus in der Popkultur, die beispielsweise die Kampagne I can`t
relax in Deutschland hervorbrachte oder die Ausladung von MIA. zur Folge hatte.
Es gibt wohl kaum eine Entscheidung des Ladens, die so bekannt ist wie das
Palituchverbot. Gerade für einen linken Laden ist es nicht
üblich, sich mit Antiamerikanismus und Antisemitismus in den eigenen
Reihen zu befassen, die Positionen des Conne Island bedürfen nach
außen und innen ständiger Vermittlung.
Der Artikel beschäftigt sich mit Versäumnissen, die gerade im
Hinblick auf die Transparenz von Diskussionen geschehen sind. Mit
kulturpolitischen Diskussionen befasst sich auch das Interview mit SONJA
EISMANN, die schön häufiger auf dem Podium im Island Platz genommen
hat. Sie beschreibt ihre Sicht auf den Zustand der Popkritik, des
Subversionsmodells Pop und Veränderungen durch technische Neuerungen wie
MP3s. Die Herausgeberin des Missy Magazine zieht zudem ein
vorläufiges Resümee der feministischen Kulturkritik. Ein Thema, das
auch im Island ein Dauerbrenner ist. Sexismus, Repräsentationen von
Männlichkeit und Weiblichkeit oder die Situation für Frauen am Laden
sind seit seiner Gründung Anlass für Diskussionen und Interventionen.
CLAIRE DE CUR kommentiert und kritisiert diese in ihrem Beitrag
It's all about Sex(ism). Dass wir spätestens damit wieder im Hier
und Jetzt angekommen sind, verdeutlicht die Fotoserie von HARALD KIRSCHNER, die
den Weg ins Conne Island vom Hof, über Bushaltestelle, Küche
und Klos hinauf in die Büros dokumentiert. JAN BARICH diskutiert in
Crash Of Cultures? die Entwicklungen im Kulturverständnis und
Musikbusiness, unabhängig vom Genre. Anders als in der Vergangenheit ist
heute mit Musikträgern, also Alben, egal ob digitalisiert oder nicht, kaum
noch Geld zu machen. Live-Auftritte bewerben nicht mehr die aktuelle
Veröffentlichung, vielmehr wird veröffentlicht, um touren zu
können. Damit einher geht beispielsweise der Anstieg von Eintrittspreisen.
Die Zeiten, da diese eine festgelegte Höchstgrenze hatten, die vor zwanzig
Jahren bei 8 Mark lag, sind vorbei. Auch der politische Anspruch an die Kultur
hat sich gewandelt, zugute hält der Text dem Island, dass sich schon
früh der Wille zur kulturellen Offenheit und das Hinterfragen von
subkulturellen Codes durchsetzte. Beliebig will der Eiskeller jedoch nicht
sein. Manche Entscheidungen darüber, welche Band spielen darf und wer
keine Plattform erhält, suggerieren im Nachhinein aber eine gewisse
Inkonsequenz. ANDREAS SCHMITT stellt seine Sicht auf die Entscheidungsprozesse
im Conne Island dar. Notbremse, Zensur oder Mythos? räumt mit der
Annahme auf, jede Künstlerin oder jeder DJ wird im Plenum genauestens
politisch diskutiert. Der Umgang mit umstrittenen Bands oder KünstlerInnen
und Essentials der Kulturpolitik werden in dem Artikel beschrieben. Er zeigt
aber auch, dass Entscheidungen immer in ihrer Zeit gesehen werden sollten. Der
elektronischen Musik, die Hardcore als beliebteste Musikrichtung von
Ladenleuten abgelöst hat, widmen sich ROBERT ZWARG und ULRICH BLACHE mit
Die Linke tanzt zu Techno nochmals theoretischer. Sie diskutieren
Zusammenhänge zwischen Techno und gesellschaftlicher Individualisierung
und Flexibilisierung sowie linke Ansprüche an Musik und Partykultur. Die
folgenden Texte und Bilder stehen unter der Headline Spaß und Spiel im
Conne Island. Im Interview Schon immer mein Traumjob berichtet unser
Technikchef und dienstältester Mitarbeiter UWE ROMEYKE von den
Grundlagen des Islandsounds, von Hörnern und Bassbeans und verrät
seinen privaten Musikgeschmack. Den zwei wichtigsten Sportarten am Laden,
Skaten und Fußball, widmen sich eigene Texte. DUPLO, FELLE und TINO,
Skater der ersten Islandgeneration, erzählen in Tatsächlich
eine Insel vom Bau des (einstmals) größten Outdoorskateparks in
Ostdeutschland, der ersten Indoor-Miniramp, dem ersten Skateshop Leipzigs und
dem jährlichen Little-Sista-Cup, alles im Conne Island beheimatet.
ALEXANDER MENNICKE konstatiert rückblickend: Fußball war irgendwie
immer präsent. Von Beginn an spielten Ladenleute Fußball
legendär etwa der Gewinn des bundesweiten ZAP Cups 1994 gegen andere linke
Projekte , sind aktive Fans insbesondere von Chemie, inzwischen
auch gerne von RB Leipzig oder schauen Fußball seit der WM
2006 allerdings keine Spiele der deutschen Nationalteams mehr im Island, wobei
zukünftig auch anders entschieden werden könnte. Eine Besonderheit
ist sicherlich der Verein Roter Stern Leipzig. Die wechselhafte Beziehung
zwischen dem Conne Island und dem linken Fußballverein beschreibt ULRIKE
FABICH mit Beratend, aber nie erziehungsberechtigt. Zurück in die
politische Diskussion führt KAY GRäRATH mit seinem Text Der
Laden und sein Heft, der Inhalte und Diskussionen im und um den CEE
IEH-Newsflyer zusammenfasst. Das ladeneigene Monatsheft ist mal mehr, mal
weniger umstritten, aber unstrittig besitzt es Außenwirkung. In der
fälschlichen Annahme, alle Artikel seien Conne Island-Meinung, mussten
sich schon einige für den Verriss von Bands rechtfertigen, von denen sie
noch nie gehört hatten, und andere für das Promoten falscher
Gesellschaftskritik, ohne jemals mit Adorno gekontert zu haben. Zeugnisse vom
symbolischen Kontern über die Jahre liefert die darauf folgende
Bilderstrecke, die Fotos und Dokumente von Aktionen vereint, die zum Teil in
vorhergehenden Texten erwähnt wurden und mit denen sich das Island nicht
nur FreundInnen in Stadt und Szene gemacht hat. Das Conne Island ist nicht
homogen, Leute und Positionen sind grundverschieden, das spiegelt auch dieses
Buch wieder. Zum selben Thema gibt es nicht nur eine Sichtweise, es gibt Raum
für Kritik und Widersprüche. Bei der Frage Was ist links?
zeigen sie sich besonders deutlich. Und so können die Beiträge von
HANNES GIESSLER sowie ULRICH SCHUSTER und PHILIPP GRAF als
Debattenbeiträge über politische Verortung wie Geschichte gelesen
werden und über die Einschätzung, in welche Richtung sich der Laden
entwickeln könnte bzw. sollte. Hannes Gießler schlägt in
Das Conne Island antifaschistisch und links einen Bogen von
emanzipatorischen Bewegungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts zur von ihm
Neue Linke genannten Bewegung im Post-Antifa Zeitalter. Er kritisiert
sowohl heutigen Antifaschismus als auch das Label links und verweist auf
regressive Elemente in beiden. Schuster und Graf setzen historisch etwas
kürzer an und erzählen die 20-jährige Islandgeschichte als
politische Geschichte. Sowohl Auseinandersetzungen in Leipzig, einschneidende
Diskussionen und Demonstrationen als auch linksradikale Ereignisse
außerhalb der Stadtgrenzen werden in Was war und ist links am Conne
Island? eingeordnet und die Entwicklungen des Ladens kommentiert. Einen
fröhlichen Ausklang bieten der Text Verklärung von THOMAS
EBERMANN und die Illustrationen bzw. Comics von KünstlerInnen aus dem
Ladenumfeld. ULRIKE STEINKE bebildert beispielsweise 24 Stunden im Conne Island
an einem fast normalen Donnerstag. In vielen Beiträgen findet sich
explizit oder implizit die These, ohne dieses oder jenes wäre das Island
nicht, was es ist. Das stimmt auch. Denn das Conne Island ist mehr als die
Summe seiner Teile, von denen noch nicht einmal alle im Buch ihren
würdigen Platz bekommen haben. Ohne Anspruch, der über die
Realität hinausreicht, ohne Bibliothek und Lesebude, ohne Freisitz und
Gerüchteküche, ohne tägliches Essen und die Aufregung darum,
ohne Spielplatz und Tischtennis, ohne Post- und Sub.island oder ohne Tanz- und
Plenumsmarathons wäre es nicht das Island. Respekt an alle, die das Conne
Island zu dem gemacht haben, was es ist. Respekt an alle, die das Conne Island
zu dem machen, was es ist. Und an die, die weiter Geschichte schreiben.
Die Redaktionscrew (Andreas Basti Franka Heiko Katha Katja Sascha Sebastian)
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